Ernst und Friedrich Georg Jünger in Schwarzenberg

Adler-Apotheke in der Altstadt von Schwarzenberg, Foto: Matthias Scheffler

Die Brüder Ernst (1895-1998) und Friedrich Georg Jünger(1898-1977) lebten von 1901 bis 1905 in Schwarzenberg. Der Vater hatte dort eine Apotheke, die heutige Adler-Apotheke in der Altstadt, erworben und deshalb zog die Familie im Jahr 1901 nach Schwarzenberg. Das ist heute in der Region kaum bekannt und das unscheinbare Schild an der auch heute noch existierenden Apotheke ist wohl das einzige sichtbare Zeichen, das an das kurze Gastspiel der beiden Jünger-Brüder im Erzgebirge erinnert. Dies ist im doch ansonsten als sehr traditionsbewusst geltenden Erzgebirge vermutlich weniger den miserablen schulischen Noten von Ernst geschuldet als der Tatsache, dass man die beiden Brüder wegen ihrer Rolle im Dritten Reich zu den umstrittenen Gestalten des deutschen Geisteslebens zählt. Bei allem Verständnis für den herrschenden Zeitgeist kann man das bei genauerer Betrachtung der Sachlage eher mit Bedauern betrachten. Von seinen sprachgewaltigen Beschreibungen der Pflanzen- und Tierwelt, insbesondere von Insekten, kann man sich in seinen Büchern gerne überzeugen (siehe Hinweis unten). Sie gehören wohl zum Eindrucksvollsten, was sich auf diesem Gebiet im deutschsprachigen Raum findet und man kann Ernst Jünger mit Fug und Recht als einen der wichtigsten Vertreter des „nature writing“ im deutschsprachigen Raum bezeichnen. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder, der sich vor allem zur Insektenkunde hingezogen fühlte, war der Lyriker, Erzähler und Essayist Friedrich Georg Jünger ein leidenschaftlicher Ornithologe. Beide Brüder zählen zu den bedeutenden Vorreitern des ökologischen Denkens. Früh warnten sie vor den negativen Auswirkungen von Technisierung und Globalisierung, dem Artenrückgang und dem schwindenden Naturbewusstsein der Menschen.
Weitgehend spurlos wie die beiden Brüder in den Annalen des Erzgebirges ist das Erzgebirge an den beiden vorübergegangen, aber nicht ganz:

„Als wir von Hannover nach Schwarzenberg gezogen waren – es muß in meinem ersten Schuljahr gewesen sein. ich war noch ein Stadtkind – führte mich die Mutter auf einen nahen Berg, den Roggelmann. Dort war eine Wiese mit vielen Blumen; ich kroch zwischen ihnen im Grase umher. Die Mutter nannte mir die Namen, von denen ich nur einen behalten habe: das Stiefmütterchen. Es hatte mich angeblickt.“
Ernst Jünger (1895-1998), „Siebzig verweht“, Band 3

„Ich kam jetzt aus der Ebene in eine neue, mir fremde Landschaft, in der ich die ersten Berge sah. Nicht ohne Überraschung bemerkte ich, daß nackter Fels aus der Erde hervorkam, und verglich ihn den Hörnern, die auf dem Kopfe der Ziegen wachsen. Die Empfindung, die ich dabei hatte, war sehr angenehm. Die Felsen hatten für mich etwas Heiteres, Wildes, und ich war fast geneigt zu lachen, als ich sie in scharfen, krummen Formen die Erde durchbrechen sah, die ich mir bis dahin überall so glatt wie einen Tisch vorgestellt hatte. Die Landschaft wurde deutlicher für mich, denn ich war wacher und wurde aufmerksamer auf sie. Mir scheint, daß die Betrachtung der Wildwasser dazu beitrug, die am Grunde der Felsen über Blöcke und Geröll schäumten. Oft schlich ich mich aus dem Hause fort, um sie zu betrachten.
Von den Brücken sah ich auf sie hinab, dann ergriff mich über der strudelnden und fallenden Bewegung des Wassers der Schwindel, so daß ich mich am Geländer festhalten und forttasten mußte, um nicht selbst zu fallen. Manchmal blieb ich mit geschlossenen Augen stehen und lauschte dem Rauschen des Wassers.“
Friedrich Georg Jünger (1898-1977), „Grüne Zweige“

„Wir streiften das Schwarzwassser entlang, das vom Fichtelberg herabkommt, und mir ging auf, daß ein ganzes Gebirge vor mir lag und mich umgab. Der Eindruck, den damals das Erzgebirge auf mich machte, hat sich in mir nie verloren. Ich höre das Rauschen von den Wäldern und Quellen her. Ich spüre den durchdringenden Harzduft und sehe die weiten, einsamen, im Licht liegenden Waldberge. Und auch das winterliche, verschneite Gebirge, das von Eis funkelte und voll kristallener Eiszapfen war, vergaß ich nicht.“
Friedrich Georg Jünger (1898-1977), „Grüne Zweige“

Matthias Scheffler

Ernst Jünger (2020): Geheime Feste. Naturbetrachtungen. Klett-Cotta, 280 Seiten, 25,00 €
Friedrich Georg Jünger (1978): Grüne Zweige. Klett-Cotta, 271 Seiten, antiquarisch erhältlich

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