Das Braunkehlchen muss man zu den „grauen Mäusen“ unter den Vögeln zählen. In der Fachliteratur findet man natürlich alle gängigen Informationen zu Aussehen, Verbreitung, Lebensweise, Zugverhalten und was eben so üblich ist. In der schönen Literatur taucht das Braunkehlchen nicht auf. Dort schwirren Falken und Adler durch die Lüfte oder singen Lerchen oder Nachtigallen ihre hohen Lieder. Und auch in der populären Literatur über die Vogelwelt, die in letzter Zeit einen regelrechten Boom erleben durfte, lässt man es links liegen. Nur eben dieses kleine Gedicht des Österreichers Hans Uhl ist mir im Internet über den Weg gelaufen. Der Vater dieser Worte, das ist kein Goethe der Neuzeit, kein ausgebildeter Dichter, sondern ein „einfacher“ Biologe, ein Vogelliebhaber und Vogelschützer. Aber was er da in seiner Liebe zu diesem Vögelchen und seiner Verzweiflung über dessen Verschwinden „geboren“ hat, das geht ans Herz.
Es kann also nicht verkehrt sein, dem braunkehligen Wiesenschmätzer, wie man ihn früher nannte, noch einige Worte zu widmen, bevor er vielleicht ganz aus unserer Landschaft verschwunden und dann auch schnell vergessen sein wird.
Das Braunkehlchen kommt ab Ende April von seiner langen Reise aus dem tropischen Afrika zurück und bleibt höchstens bis Oktober. In der kurzen Zeitspanne, in der es bei uns zu Gast ist, versucht es trotz widrigster Umstände tapfer, seine 4-7 Jungen in einem Brutversuch zwischen Mai und Juli, eventuell auch mit Hilfe einer Ersatzbrut, groß zu ziehen. Es kommen dafür nur noch sehr extensiv oder nicht bewirtschaftete Wiesen- und Weidelandschaften in Frage. Das Braunkehlchen will es übersichtlich, die Nähe des Waldes, enge Täler und heckenreiche Landschaften meidet es. Es brütet am Boden und die Nahrung besteht aus Insekten und das macht die ganze Angelegenheit heutzutage zu einer Mammutaufgabe.
Das Braunkehlchen ist ein ausgesprochen hübscher, dezent gekleideter Vogel, wobei das Weibchen noch einen Hauch bescheidener daherkommt als ihr Gatte. Jedenfalls geben sie zusammen ein perfektes Paar ab. Und auch der Gesang lässt keine Wünsche offen. Alfred Brehm (1829-1884), der Altvater der populärwissenschaftlichen zoologischen Literatur, beschreibt ihn in seinem Tierleben folgendermaßen:
„Der hübsche Gesang besteht aus verschiedenen kurzen Strophen voller und reiner Töne, welche in vielfacher Abwechslung vorgetragen und in welche, je nach der Gegend, anderer Vögel Stimmen, so Teile aus den Liedern des Grünlings, Stieglitzes, Hänflings, des Finken, der Grasmücke usw., verwebt werden. Die Braunkehlchen singen bis zu Anfang des Juli fleißig, beginnen frühzeitig, schweigen tagsüber selten und lassen sich bis in die Nacht hinein hören.“
Wunderschön, durchaus ein Erlebnis, das man genießen sollte, wenn man die Möglichkeit dazu hat. So könnte man das zusammenfassen. Und auch bei der Beobachtung seiner sonstigen Tätigkeiten kommt keinesfalls Langeweile auf. Ein fleißiges Vögelchen, wie es im Buche steht. Dazu noch einmal der alte Brehm:
„Die Wiesenschmätzer gehören zu den muntersten, bewegungslustigsten, unruhigsten und hurtigsten Vögeln unseres Vaterlandes. Auf der Erde hüpfen sie schnellen Sprunges dahin, halten auf jeder Erhabenheit an, beugen sich schnell vorwärts und wippen mit dem Schwanze nach unten. Im Fluge beschreiben sie kurze Bogen niedrig über dem Boden weg, wissen sich aber sehr gewandt zu schwenken und zu wenden und sind imstande, fliegende Kerbtiere aller Art mit Sicherheit aufzunehmen. Tagsüber sieht man sie fast immer in Tätigkeit. Sie sitzen auf der Spitze eines niederen Busches oder Baumes, schauen sich hier nach allen Seiten um, stürzen plötzlich auf den Boden herab, nehmen die erspähte Beute auf und kehren zu dem früheren Standorte zurück oder fliegen einem anderen erhabenen Punkte zu.“
Das macht vielleicht ein klein wenig deutlich, welch eindrucksvolle Lebewesen sich derzeit fast unbemerkt von uns verabschieden. Bis vor wenigen Jahrzehnten war das Braunkehlchen im Westerzgebirge ein ganz alltäglicher Bewohner größerer Wiesen- und Weideflächen, besonders wenn nasse Bereiche mit eingestreut waren. Dieser Vogel ist mir ähnlich ans Herz gewachsen wie Hans Uhl. Wehmut und Trauer überkommen mich, wenn ich an den Orten vorbeikomme, an denen ich ihn früher beobachten durfte. Wenn ich Glück habe, höre ich eine Feldlerche, eine Goldammer oder eine Mönchsgrasmücke. Stumm ist der Frühling noch nicht, aber er wird immer leiser, der Chor der Sänger immer dünner. In vielen Landschaften ist der vom österreichischen Vogelschützer gefürchtete „traurige Mai“ schon bittere Realität, auch in weiten Teilen unserer Region.
Ob diese Worte schon eine Art Abgesang auf diese liebenswerte Vogelart sind, das möchte ich vorerst noch offen lassen. Die Hoffnung stirbt nicht gern.
Matthias Scheffler
Dies ist ein Beitrag aus Ausgabe 1/2019 unserer Zeitschrift „Lebendige Vielfalt im Westerzgebirge“
Braunkehlchen
Welch trauriger Mai,
wenn über nickenden Blumenköpfen,
silbrigen Weidentrieben
oder verwitternden Wiesenpflöcken
Dein hellsprödes, eigentümliches Singen
nicht mehr erklingt.
Bliebe Dein Lieblingsplatz
an der kleinen Erle verwaist,
fehlten mir Deine bunten Tupfen sosehr,
daß ehemals leuchtende,
mir Erneuerung versprechende Frühlingswiesen
zu einfältigen Wiesenäckern
verkümmern.
Hans Uhl