„Erst, als sie weiterlaufen wollte, schrak sie zusammen. Keinen Schuh breit vor ihr lag die Kreuzotter. Es war eine außergewöhnlich gro0e Schlange, die sich jetzt träge, den größten Teil noch geringelt auf den Steinen, den Kopf aber schon ins Gras des Bodens gesteckt – unterm Gras versteckt – gegen einen Strauch hin bewegte, sich dabei immer mehr streckte, auseinanderzog, Ring um Ring wegzog aus dem runden Kuchen, der ihr Leib gewesen war, und schließlich unterm Busch verschwand. Nur ein Schwanzrest, die Schwanzspitze züngelte noch aus dem Wasen. Ein Sog und zugleich etwas Widerstrebendes lag im Wegziehen, im Weggleiten dieses Leibes, lag im Zeitlupentempo, mit dem der eben noch rund hingebreitete Leibhaufen, das Leibknäuel sich löste, auflöste. In dieser trägen, klebrig trägen Bewegung lag eine Mißachtung der Gefahr, eine Verachtung all dessen, dachte Linda, was nicht Schlange war, was nicht ihre Macht und Unverletzlichkeit war, was nicht Höhle war, nicht Dunkelheit und Tiefe, nicht Uterus, nicht Erde, was nicht Leben war.“
Hans Boesch (1926-2003), „Schweben“
Nur sehr selten bekommt man in Deutschland eine Schlange zu Gesicht. Der Reptilienbestand geht zurück, auch sie leiden unter der Zerstörung ihres Lebensraumes. Hinzu kommt, dass Schlangen überaus scheue Tiere sind, die ein eher verstecktes Leben führen. Insgesamt sechs Schlangenarten sind in Deutschland heimisch, sie alle stehen unter Naturschutz. Die Ringelnatter ist die häufigste von ihnen, die kleinste Schlangenart ist die Schlingnatter. Sehr selten ist die Würfelnatter, die in Sachsen nur noch an der Elbe zu finden ist, und von der Äskulapnatter lebt keines der wenigen Tiere in Sachsen. Die giftige Aspisviper ist nur noch im Südschwarzwald zu finden. Die Kreuzotter ist ebenfalls eine Giftschlange und auch ihr Bestand ist bedroht, im Westerzgebirge sind aber noch vergleichsweise viele Exemplare zu finden. Das Gift benötigt sie zum Töten ihrer Beute, die überwiegend aus Mäusen besteht, teilweise werden auch Grasfrösche oder Eidechsen verspeist. Jungtiere ernähren sich ausschließlich von kleinen Fröschen und Eidechsen. Das Gift der Kreuzotter ist für gesunde, erwachsene Menschen ungefährlich, die Dosis ist nicht tödlich. Außerdem sind die Kreuzottern friedliebende Tiere, die bei Gefahr eher fliehen als angreifen. Auch schützen festes Schuhwerk und lange Hosen beim Wandern und Pilze Suchen im Schlangengebiet. Erkennen kann man Kreuzottern an dem Zickzackband auf ihrem Rücken, das vermutlich auch der Grund für ihren Namen ist. Männchen sind zumeist eher in Grautönen mit schwarzen Zeichnungen, die Weibchen in braun, rötlich oder beige mit dunkelbraunem Zickzackband zu finden. Auch komplett schwarze Tiere gibt es, im Volksmund „Höllenotter“ genannt.
Die Lebensräume einer Kreuzotter waren ursprünglich lichte Hochmoore, sonnige Waldränder sowie Feuchtflächen und Freiflächen im Wald, wo liegendes Totholz und Baumstubben als Sonnenplatz und Tagesversteck vorhanden sind. Auch in Hohlräumen unter Steinen, im Moos oder in Erdlöchern verstecken sich die Schlangen. Seit die Landschaft durch uns Menschen geformt wurde, findet sie zudem in einer strukturreichen Kulturlandschaft ihren Platz: in Trockenmauern, sonnigen Hecken, mageren Wiesen und Weiden mit Lesesteinhaufen als Sonnenplätze und kleinen Sträuchern als schattige Verstecke. Kreuzottern brauchen ein Mosaik aus niedrigen und höherwüchsigen Pflanzen und offenen Flächen. Nur leider sind genau diese Lebensräume in den letzten Jahren immer mehr verloren gegangen. Magerwiesen wurden nicht mehr bewirtschaftet und sind verbuscht oder die Wiesennutzung wurde zu sehr intensiviert, Hecken und Steinrücken wurden zerstört oder werden kaum noch gepflegt, im Wald finden sich kaum totholzreiche Freiflächen. Wobei dort der Borkenkäfer nun vermehrt günstige Lebensräume schafft, zumindest aus Sicht der Kreuzotter. Lebensraumverlust ist jedoch nur ein Grund für den Rückgang der Kreuzotterbestände. Auch der dramatische Rückgang der Amphibien, auf die vor allem Jungtiere als Nahrung angewiesen sind, ist ein Problem. Darüber hinaus sterben bei ihren Wanderungen unzählige Schlangen im Straßenverkehr, der die Lebensräume zunehmend zerschneidet und auch den genetischen Austausch zwischen Populationen erschwert. Neben uns Menschen und unserer Form der Landnutzung zählen zu den Feinden der Kreuzotter auch Wildschwein, Marder, Fuchs und Bussard. Den Jungtieren kann sogar ein Igel gefährlich werden. Allerdings sind die mittlerweile sehr selten geworden.
Wie alle Reptilien sind Kreuzottern wechselwarm, das heißt, ihre Körpertemperatur passt sich der Umgebungstemperatur an. Aus diesem Grund brauchen diese tagaktiven Schlangen sowohl Sonnenplätze in ihrem Habitat als auch kühle, schattige Aufenthaltsmöglichkeiten. Um der Kälte im Winter zu entgehen, halten sie Winterschlaf und ziehen sich dafür ab Oktober/November in frostfreie Erdspalten oder Baumstümpfe zurück. Die wärmenden Sonnenstrahlen zur Schneeschmelze im April wecken sie aus diesem Schlaf und die Schlangen suchen sich Sonnenplätze, um wieder munter zu werden. Auf ausgewählten Paarungsplätzen treffen sich Schlangen beider Geschlechter und später nutzen die Weibchen diese Plätze auch als Kinderstube. Da Kreuzottern zur Paarung meistens an ihren Geburtsort zurückkehren, haben diese Orte eine enorme Bedeutung. Werden sie zerstört, ist das eine große Bedrohung für die lokale Kreuzotterpopulation. Leider sind diese Plätze kaum bekannt, so dass wir Menschen häufig nicht wissen, ob wir uns am schützenswerten Rendezvous-Platz befinden. Kreuzottern brüten ihre Eier im Körper aus, bzw. lassen sie von der Sonne ausbrüten, die wärmend auf ihren Körper scheint. Die 5-15 jungen Kreuzottern kommen dann lebend zur Welt und haben anfangs das Format eines Bleistifts. Allerdings wachsen sie enorm schnell. Da die Haut bei Kreuzottern nicht mitwächst, müssen sie diese immer wieder erneuern und die alte abstreifen. Vielleicht finden Sie ja auf einem aufmerksamen Frühlingsspaziergang ein solches Exemplar zwischen Heidekraut oder Heidelbeersträuchern.
Um die Kreuzotter zu unterstützen, kann man ihren Lebensraum beispielweise mit der Anlage von Trockenmauern und Steinhaufen aufwerten. Dies plant der Landschaftspflegeverband in Kooperation mit Flächeneigentümern und Bewirtschaftern an ausgewählten Stellen. Die Steinhaufen können von Schlangen und Eidechsen als Sonnen- und Versteckplätze genutzt werden. Hebt man außerdem noch eine ca. 1 m tiefe Mulde aus und legt darin den Steinhaufen an, können die Schlangen dort eventuell sogar ihr Winterquartier finden. Auch die Entbuschung von zugewachsenen Blockhalden, die Pflege von Hecken und Steinrücken (siehe den Beitrag zu den Hecken auf Seite 17) oder die Instandsetzung bzw. Anlage von Teichen als Amphibienlebensraum können sinnvolle Artenschutzmaßnahmen für die Kreuzotter sein. Denn auch wenn man viel Glück haben muss, um eine Kreuzotter beobachten zu dürfen, wäre es doch sehr schade, wenn diese interessanten Tiere in unserer Landschaft keinen Platz mehr hätten.
Karolin Prott