Das Braunkehlchen ist der Vogel des Jahres 2023. Bei der dritten öffentlichen Wahl vom NABU und seinem bayerischen Partner, dem Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) entfielen reichlich 43 Prozent der Stimmen auf den kleinen Wiesenvogel, 18 Prozent auf den Feldsperling, 16 Prozent auf den Neuntöter, 16 Prozent auf den Trauerschnäpper und 7 Prozent auf das Teichhuhn.
Es wird höchste Zeit, dass die Bemühungen um diesen Wiesenvogel verstärkt werden – vielleicht bekommen diese durch die jetzige Wahl auch etwas mehr Aufmerksamkeit und Aufwind. Denn die Entwicklungstrends in den letzten Jahrzehnten sind erschreckend und die Lage wirklich dramatisch. Die Wiesenbrüter sind ein trauriges Symbol für die Auswirkungen der grundsätzlichen Umwälzungen in unserer Feldflur in den letzten Jahrzehnten.
Das Braunkehlchen war 1987 schon einmal Vogel des Jahres. Geholfen hat es ihm nichts, es ging Schritt für Schritt weiter bergab. Die jetzige Wahl ist ein erneutes Signal an die Landwirtschaftspolitik, doch endlich den Hebel herumzureißen, hin zu einer naturnäheren Landwirtschaft, mit der sich auch solche Wiesenbrüter wie das Braunkehlchen, der Wiesenpieper oder die Feldlerche und mit ihnen viele weitere Arten anfreunden können. Ob das gelingt, steht weiter in den Sternen. Die Signale sind leider sehr widersprüchlich. So richtig vorwärts geht es nicht
Auch in Sachsen ist das Braunkehlchen stark gefährdet: Wurden bei der erstmaligen landesweiten Bestandserfassung von 1978 bis 1982 und selbst von 1993 bis 1996 noch zwischen 2.500 und 5.000 Brutpaare gezählt, waren es zwischen 2004 und 2007 nur noch 1.500 bis 3.000. Für 2016 wurde das Vorkommen in Sachsen auf lediglich 500 bis 800 Brutpaare geschätzt. Die Vorkommen beschränken sich heute hauptsächlich auf Kammlagen des Erzgebirges und Bergbaufolgelandschaften.
Zur Situation im Westerzgebirge
Im sächsischen Westerzgebirge hat die Art trotz Schutzbemühungen im Rahmen des Wiesenbrüterschutzprogramms (siehe Link unten) einen Standort nach dem nächsten aufgegeben. Mittlerweile kann man Braunkehlchen nur noch auf dem Durchzug beobachten. Die vermutlich letzte Brut fand 2019 in Carlsfeld statt. Über die durchaus noch vorhandenen Bestände auf böhmischer Seite wollen wir nicht spekulieren. Jahrelange Beobachter gehen aber auch dort von einem schrittweisen Rückgang aus.
Werfen wir noch einen Blick in die Vergangenheit, um einigermaßen eine Vorstellung zu bekommen, was da passiert ist. Dazu macht Heinz Holupirek, ein Ornithologe aus Annaberg-Buchholz, im Jahr 1969 Angaben zur Verbreitung der Art im Mittleren Erzgebirge, die wohl auch für den westlichen Teil des Gebirges weitgehend zutreffend sein sollten:
„Das Braunkehlchen gehört zu den wenigen Vogelarten des Beobachtungsgebietes, die mit fortschreitendem Emporsteigen ins Gebirge keinen quantitativen Rückgang zu verzeichnen haben. Es teilt seine Aufenthaltsorte mit dem Wiesenpieper. Darüber hinaus bewohnt es auch trockenere Wiesen und Weideland, wenn dort Sitzwarten (Doldenblütler, Disteln, Weidepfähle) vorhanden sind, von den Talwiesen bis hinauf zu den Borstgrasmatten der höheren Berge und bis ins Moor von Bozi Dar (Gottesgab – 1050 m über NN) nach GRUMMT (1957). Dieser sah auch am Fichtelberg fütternde Altvögel noch in 1150 m über NN. Für die dortigen Bergwiesen nennt VOIGT (1917) das Braunkehlchen ‚den gewöhnlichsten Singvogel nach dem Wiesenpieper‘. …
Eine Zunahme könnte infolge der beabsichtigten Verstärkung des Weidebetriebes in unseren Gebirgslagen zu erwarten sein.“
Heinz Holupirek, „Die Vögel des hohen Westerzgebirges“, in „Beiträge zur Vogelkunde Band 15 1969“
Es ist also unschwer zu erkennen, dass Braunkehlchen und Wiesenpieper damals Allerweltsvögel waren, um die man sich keinerlei Sorgen zu machen brauchte. Das ging auch noch eine Weile so weiter, bis die Industrialisierung der Landwirtschaft die Bestände langsam sinken ließ. Wenn man sich vor Augen hält, dass es sich um Bodenbrüter handelt, wenn man sich zudem die Brutzeiten vergegenwärtigt und diese den Gepflogenheiten bei der Nutzung von Wiesen und Weiden in der heutigen Landwirtschaft gegenüberstellt, dann verwundert das nicht, dann weiß man eigentlich, was die Stunde geschlagen hat. Hinzu kommt die mittlerweile extreme Insektenarmut in unseren Landschaften, die die Aufzucht der Jungen zu einem regelrechten Kraftakt macht. Den endgültigen Knacks bekamen viele Populationen in Europa dann mit der Aufhebung der obligatorischen Flächenstilllegung in der Landwirtschaft im Jahr 2008. Die zärtlichen Pflänzchen einer Wiederbelebung ab 2023 wurden jetzt infolge des Ukrainekrieges durch die Politik zumindest vorübergehend wieder einkassiert.
Mehr zu diesem wunderbaren Vogel erfahren Sie in unserem Beitrag über das Braunkehlchen:
https://naturkultur-westerzgebirge.de/2022/10/27/das-braunkehlchen-liebeserklaerung-an-einen-vogel/
Mehr zum Wiesenbrüterschutz im Westerzgebirge erfahren Sie auf der Internetseite des LPV:
https://lpvwesterzgebirge.de/waswirmachen/artenschutz/wiesenbrueter/