„Sie sind nicht kahl wie die Jungen der meisten Vögel, sondern sogar vollkommener entwickelt und früher reif als die Küken des Haushuhnes. Der merkwürdig reife und doch unschuldige Ausdruck in ihren offenen klaren Augen prägt sich tief ein. Alle Intelligenz scheint sich in ihnen zu spiegeln. Sie erinnern nicht nur an die Reinheit der Kindheit, sondern an die durch die Erfahrung geklärte Weisheit. Solch ein Auge wurde nicht mit dem Vogel geboren, sondern gleichzeitig mit dem Himmel, den es widerstrahlt. Der Wald hat kein ähnliches Juwel mehr aufzuweisen. Nicht oft blickt der Wanderer in solch einen klaren Quell.“
Henry David Thoreau (1817-1862), „Walden oder Leben in den Wäldern“
„Die Älteren unter uns werden sich noch erinnern. Als unser Land noch mit Millionen von Rebhühnern bevölkert war, bedeutete ein Spaziergang durch die Feldflur fast immer, dass man irgendwo irgendwann durch ein bretterndes ‚brrrr‘ schlagartig aus seinen Gedanken gerissen wurde – nämlich dann, wenn eine Kette dieser Vögel flügelknatternd davonstob. … Wer erlebt hat, wenn ein Auerhahn urplötzlich unweit vor einem ‚wupp wupp wupp‘ aus einem Unterholz im Wald wie aus dem Boden gestampft polternd auffliegt, der wird dieses ordentlich herzschlagerhöhende Erlebnis nicht mehr vergessen. Das Poltern währt aber nur kurz – bald schon geht der geräuschvolle Auf- und Abflug aus Baumkronen in geräuschlosen Gleitflug über, und der Vogel verschwindet aus dem Hör- und Sehfeld.“
Peter Berthold, „Auerhuhn. Ein Urvogel verschwindet.“
Diese Juwele, von denen Thoreau so derart begeistert war, lebten vor noch nicht allzu langer Zeit fast flächendeckend auch in unseren Feldern und das in nicht unerheblicher Menge, wie uns Peter Berthold gerade dargestellt hat, einer unserer bekanntesten und streitbarsten Ornithologen. Ein vielen unserer Zeitgenossen, vor allem jüngerer Bauart, mittlerweile weithin unbekanntes Tierchen. Es wirkt auf den ersten Blick etwas plump und schwerfällig, aber wenn es drauf ankommt, ist es durchaus flott unterwegs auf seinen zwei Beinchen. Das Fliegen liebt es nicht besonders, erhebt sich nur im Notfall in die Lüfte und die Landung lässt nicht lange auf sich warten.
Das Rebhuhn war früher auch im Westerzgebirge ein bekannter und weit verbreiteter „Mitbürger“, den man in der Feldflur bis an die Ortsränder heran häufig treffen konnte und der sich zuweilen mit den Haushühnern, als es die noch gab, den Futternapf teilte. Schon zu DDR-Zeiten musste es enorme Bestandseinbußen hinnehmen und kämpfte in den letzten Jahrzehnten vor der Wende schon ums Überleben. Die Wende brachte ihm die unverhoffte, aber nur scheinbare Rettung. Die LPGs wurden aufgelöst und Brachflächen brachen wie die Pilze aus dem Boden, die Rebhühner feierten das neue Leben und erlebten eine unerwartete, völlig überraschende „Wiedergeburt“, vor allem im Raum Zschorlau, Neustädtel und Schneeberg. Leider eine trügerische, nur kurze Zeit anhaltende Erholung. Mit den wieder in Nutzung kommenden Brachflächen verschwanden ab Mitte der 90er Jahre auch die Hühner wieder, die immer intensiver werdende Bewirtschaftung der Wiesen und Äcker besorgte den Rest. Auch ein umfangreiches Schutzprojekt von NABU und Landschaftspflegeverband für diesen liebenswerten Hühnervogel war machtlos gegen den schnellen und unausweichlichen Niedergang. Letztes Rückzugsgebiet war das FND „Türkschachthalde“ bei Zschorlau, eine leider viel zu kleine Oase in der Agrarlandschaft. Dort wurde 2002 das Rebhuhn im Westerzgebirge als Art zu Grabe getragen. Mittlerweile steht es in ganz Sachsen kurz vor dem Erlöschen, vielleicht ist das auch schon passiert. Das „Girrhäk“ der Hähne, ein wohlvertrautes Geräusch am Rande der Dörfer zur Balzzeit im Frühjahr ist verstummt. Was soll‘s, werden sich viele sagen. Aber da macht man es sich zu einfach. Es ist ein größerer Verlust, als es gemeinhin scheinen mag und ein trauriges Symbol und untrügliches Zeichen für den dramatischen Niedergang des Lebens in unserer Feldflur, das uns zu denken geben sollte.
Peter Berthold liefert uns die passenden Worte für diesen unerhörten Vorgang:
„Die katastrophale Situation unserer Vogelwelt nach dieser Bilanz der neuen Roten Liste – die röteste, die wir je hatten – und der hier zusammengestellten Daten ist ohne Wenn und Aber eine Schande für unser Land – für eine Kulturnation, die einst den Naturschutz mit begründet hat! Die Situation ist inzwischen so hoffnungslos dramatisch, dass wohl für viele weitere Arten das Aussterben eingeleitet ist. Die Art und Weise, wie wir zum Beispiel sehenden Auges die ehemals Millionen von Rebhühnern sukzessive bis auf einige Zehntausend zerwirtschaftet haben, obwohl ihr Rückgang schon um 1800 klar zu erkennen war, verdient sicher die Bezeichnung ‚Völkermord an einer Vogelart‘. Und das, obwohl uns Rebhühner immer lieb und teuer waren. Eigentlich unvorstellbar, aber leider Tatsache. Weitere Aussterbe-Kandidaten sind Auer- und Haselhuhn, Braunkehlchen und Seggenrohrsänger.“
Peter Berthold, „Unsere Vögel“
Übrigens sind die eben erwähnten Auerhuhn und Haselhuhn bei uns schon lange keine Aussterbekandidaten mehr, sondern schon längst dahingegangen, haben schon früher über den Jordan gesetzt als der Leidensgenosse Rebhuhn. Nicht nur auf die optische Präsenz der befiederten Hühnchen, auch auf die durchaus eigenwilligen akustischen Lebenszeichen dieser Vogelfamilie werden wir in Zukunft wohl verzichten müssen. Alle waren sie faszinierende Vögel, heute im besten Falle Erinnerungen und Legenden und auch das wird nicht mehr lange so bleiben. Dazu noch einmal Peter Berthold:
„Allerdings – nicht viele werden sich an ein solches Herzschlag-Erlebnis erinnern. Umfragen haben ergeben, dass in unserem Land derzeit immer noch über 80 Prozent der Bevölkerung Amsel und Kohlmeise vom Hören oder Sehen zu kennen, aber beim Auerhuhn ist es nicht einmal ein Prozent.“
Peter Berthold, „Auerhuhn. Ein Urvogel verschwindet.“
Traurige, aber keineswegs verwunderliche Zahlen lesen wir da über unsere naturkundlichen Kenntnisse bezüglich eines durchaus bemerkenswerten, keinesfalls unscheinbaren Vertreters der heimischen Tierwelt. Und das Rebhuhn käme sicher kaum besser davon, eher im Gegenteil. Es ist leider zu befürchten, dass alle diese Hühnervögel und viele weitere Arten dem Namen nach – und erst recht ihre Art zu leben – in wenigen Jahren nur noch einigen wenigen Spezialisten bekannt sein werden. Der Schmetterlingsexperte Andreas Segerer hat sich einmal als Sterbebegleiter unserer Artenvielfalt bezeichnet. So kommt man sich tatsächlich manchmal vor. Aber natürlich gibt es auch Arten mit gegenläufiger Entwicklung, das soll auch nicht unerwähnt bleiben.
Unter den Hühnervögeln jedenfalls halten derzeit nur noch die Wachtel und das Birkhuhn die Stellung. Über die Entwicklungstrends bei der unscheinbaren Wachtel ist derzeit wenig bekannt. Positive Nachrichten wären eher überraschend. Das Birkhuhn macht schon eher von sich reden. Aber auch bei dieser Art, für die das Erzgebirge eine besondere Verantwortung trägt, sind die Nachrichten von der Front eher bedrückend. Es steht aus verschiedenen Richtungen unter Bedrängnis und ob es die Stellung halten kann, ist mehr als ungewiss. Die zwischenzeitliche Eroberung des sächsischen Westerzgebirges musste es jedenfalls schon wieder aufgeben. Mehr zu dieser bemerkemswerten Art erfahren Sie in den beiden folgenden Beiträgen:
Vom Niedergang des Birkhuhns
Neues Heft zur Vogelwelt in Sachsen erschienen