Vom Niedergang des Birkhuhns

Am Balzplatz, Foto: Jan Gläßer

Wald versus Birkhuhn
oder
Eine unendliche Geschichte

Für die leichte Polemik bei diesem Thema bitten wir von vornherein um Nachsicht. Aber hier fällt die vielgerühmte und meist durchaus sinnvolle sogenannte „Sachlichkeit“ etwas schwer. Die Angelegenheit erinnert einen zu sehr und zu lange an solch wenig ergiebige Tätigkeiten wie das Steineschneiden und das Laufen gegen Betonwände oder an Don Quichotte auf seiner Rosinante.

Im Erzgebirge, beiderseits der Landesgrenze zu Tschechien, lebt die größte Mittelgebirgspopulation Europas eines „komischen Vogels“, des Birkhuhns. Man führe sich nur einmal die Balzrituale (siehe Foto) zu Gemüte, dann weiß man, wovon wir sprechen. Eigentlich sollten alle glücklich sein, dass uns diese mittlerweile in Deutschland extrem seltene Vogelart immer noch die Ehre ihrer Anwesenheit angedeihen lässt, sollte man zumindest denken. Aber weit gefehlt. Große Teile von Sachsenforst – und ihm eng verbundener Interessenverbände – stehen dem Birkhuhn sehr skeptisch bis ablehnend gegenüber, weil dessen Anforderungen an den Lebensraum mit den waldbaulichen Vorstellungen und Zielen des Staatsbetriebs nicht konform gehen. Dieser einzigartige Hühnervogel, der das Licht liebt, kann wenig anfangen mit Altersklassenwäldern oder auch dem weitgehend geschlossenen Kronendach des angestrebten Dauerwaldes, mit dem wir uns ja schon ausführlich beschäftigt haben. Das Birkhuhn ist ein typischer Bewohner des Halboffenlandes oder besser gesagt der sogenannten „Kampfzone“ zwischen Wald und lichteren Landschaftsbereichen. Es lebt also gerne in den Übergangsbereichen vom Wald zu Mooren, Heiden oder zu abwechslungsreichem Offenland mit extensiv bewirtschafteten Bereichen und Brachen. Oder auch zu neu entstandenen Windwurf- oder sonstigen Kalamitätsflächen, weshalb es manchmal auch als „Katastrophenvogel“ bezeichnet wird. Als einer unserer größten Vögel, der zudem das ganze Jahr bei uns bleibt, benötigt es eine strukturreiche, mosaikartige Umgebung, um überleben zu können, und das zu allen Jahresszeiten. Es braucht weitgehend offene, übersichtliche, ausreichend große Bereiche als Balzplätze, lichte Wälder mit Unterwuchs aus Beerensträuchern, Deckung und Nahrungsquelle sowie ausreichend Ameisen und andere Insekten und Kleintiere als Nahrung für sich und vor allem die Küken.

Das Birkhuhn ist eine in Deutschland vom Aussterben bedrohte Vogelart und in Anhang 1 der Vogelschutzrichtlinie der EU aufgeführt, also der Arten, für die besondere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Das Erzgebirge ist für dessen Erhalt von außerordentlicher Wichtigkeit und hat damit auch automatisch eine hohe Verantwortung für seinen Schutz. Hier besteht – gemeinsam mit dem Bestand auf böhmischer Seite – noch eine reelle Chance, eine vitale und zukunftsfähige Mittelgebirgspopulation zu erhalten. Trotz dieser nicht zu bestreitenden Tatsache, die uns gemäß EU-Recht sogar zum Handeln zwingt, hat sich Sachsen unbegreiflicherweise jahrelang gegen ein Artenschutzprogramm und die hierzu notwendige Bereitstellung ausreichender Flächen gesträubt. Anstatt zu versuchen, gemeinsam mit den tschechischen Kollegen ein europaweit vorbildliches, grenzübergreifendes Projekt zum Schutz einer derart gefährdeten Art zu planen und umzusetzen und damit europaweit Anerkennung zu ernten, laviert man jahrelang dahin, nimmt man weitere Bestandsrückgänge und letztendlich sogar das Aussterben in Kauf, weil der Bewirtschafter der Flächen, der eigene Staatsbetrieb, sich nicht so recht mit dem Vogel anfreunden will. Dass der Naturschutz nicht ohne Grund schon seit vielen Jahren dringlich angemessene Schutzmaßnahmen fordert, zeigt die Bestandsentwicklung bei der alljährlichen Kartierung der balzenden Hähne in den letzten Jahren beispielsweise im sächsischen Teil des Westerzgebirges: 2019 vier Hähne, 2020 zwei Hähne, 2021 ein Hahn. Hierzu erübrigt sich eigentlich jeder Kommentar. Wenn man möchte, kann man diese Reihe gedanklich weiter fortsetzen. Lange muss man sich damit allerdings nicht aufhalten. Halbe Hähne gibt es leider nicht, nur halbe Hähnchen.
Auch hat sich bei uns offenbar immer noch nicht herumgesprochen, dass eine attraktive Tier- und Pflanzenwelt auch ein Zugpferd für den Tourismus sein kann, einem Standbein der regionalen Entwicklung, wie immer wieder betont wird. Mit Bäumen allein werden wir da nicht weit kommen, die gibt es vielerorts. Andere Regionen sind uns da jedenfalls weit voraus.
Jetzt, da es ein solches Artenschutzprogramm endlich gibt, versucht man weiterhin, die praktischen Schutzmaßnahmen auf Sparflamme zu halten, weil diese aus Sicht von Sachsenforst ein Arbeiten gegen die Natur darstellen, anderen Arten den Lebensraum entziehen und angeblich das Birkhuhn eigentlich nicht in die Region gehört. Dies ist eine einseitige und angesichts der aktuellen negativen Bestandentwicklungen auf beiden Seiten der Grenze völlig unangebrachte Sichtweise, die den Tatsachen und den Erfordernissen keinesfalls gerecht wird. Zumal es bei den Maßnahmen nicht um, etwas übertrieben gesagt, die Abholzung des gesamten Erzgebirgskammes geht, wie uns das zuweilen suggerier wird, sondern im Grunde um Fliegenschisse. Und hinzu kommt, dies sei noch ausdrücklich betont, dass sich alle Flächen im Eigentum des Freistaates und in Europäischen Vogelschutzgebieten befinden, die ja angeblich dem Vogelschutz dienen sollen, leider manchmal oder auch öfter nur dem Namen nach.

Auf der Internetseite von Sachsen findet sich bei der Beschreibung der „Arten im Blickpunkt der biologischen Vielfalt“ zum Birkhuhn folgender poetische Satz: „Vor 150 – 200 Jahren noch weit auf Wiesen, in Auen, auf Mooren, in Heiden und in den aufgelichteten Wäldern verbreitet, steht das Birkhuhn in Sachsen kurz vor dem Aussterben. Zur Rettung dieses schönen Vogels sind besondere Anstrengungen nötig.“ Schöne Worte für einen noch schöneren Vogel. Leider klaffen Anspruch und Wirklichkeit manchmal sehr weit auseinander.
Angemerkt sei hier nur noch, dass der von Sachsenforst so ungeliebte Rothirsch (siehe dazu unseren Beitrag >> ) durchaus nicht unerheblich zum Erhalt geeigneter Birkhuhnlebensräume beitragen kann.

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